Happy Nikolaus!
Als jemand der regelmäßig beklagt, dass es nicht genügend gute Comedy-Serien und Thriller gibt, ist das wirklich mein Monat: Im Dezember streamen gleich fünf neue Comedy-Titel, die weder Reboots, Spinoff noch Remakes sind, sowie zwei annehmbare Thriller.
(Diese Newsletter-Episode bleibt Weihnachts-Content-frei, dazu wird es eine Spezialfolge geben.)
The Madness (jetzt online)
Colman Domingo ist immer ein Grund einzuschalten und diese paranoide Thriller-Serie um einen TV-Moderator, der zur falschen Zeit am falschen Ort ist, erst recht. Aktuell ist The Madness in den Netflix-Charts auf Nummer 1 und nach der ersten Folge, versteht man sofort wieso. Domingo spielt Muncie Daniels, der für einen Mord geframt wird, den er nicht begangen hat. Eine zehn Episoden dauernde Verfolgungsjagd beginnt; Daniels kämpft sich langsam durch einen Sumpf an Desinformationen und Lügen und kommt schließlich einer Verschwörung auf die Schliche.
Das ist alles recht schlau gemacht, auch wenn viele Tropes aus diesem Genre aktiviert werden: die Ex-Frau, für die er offensichtlich noch Gefühle hat. Die Familie, die zum Ziel wird. Die Karriere, die den Bach runtergeht. Aber sie funktionieren eben auch und Colman Domingo ist ein guter, charismatischer Verkäufer und der Grund, warum man hier sofort auf “Nächste Episode spielen” drückt.
Läuft auf: Netflix
Black Doves (5.12.)
Wann haben wir Keira Knightley das letzte Mal in etwas anderem als einem historischen Drama gesehen? Eben. Vorhang auf für diesen politischen Action-Thriller, in dem sie eine Spionin spielt, die mit einem hochrangigen britischen Politiker verheiratet ist. Zehn Jahre hat sie der zwielichtigen Organisation Black Dove Regierungsgeheimnisse durchgesteckt. Doch ihre Spionagetätigkeiten bringen sie nun selbst in Bredouille. Als auch noch ihr Liebhaber am Ufer der Themse erschossen wird, bekommt sie Verstärkung in Gestalt eines Auftragskillers, gespielt vom immer fabelhaften Ben Whishaw.
Hinter der Serie steckt Joe Barton, der den ebenfalls sehr guten Krimi Giri/Haji zu verantworten hat. Die Show sei wie The Diplomat mit mehr Killern, rezensiert die BBC und ich wünschte, der Vergleich wäre mir eingefallen.
Läuft auf: Netflix
Fly Me To The Moon (6.12.)
Für alle, die sich immer beschweren, dass gute Liebeskomödien nicht mehr gemacht werden: Wo wart ihr, als Fly Me To The Moon im Kino lief? Offenbar nicht im Kino, denn der Film mit Scarlett Johansson und Channing Tatum in den Hauptrollen (!) war ein Kassenflop. Dabei ist der Film wirklich sehenswert, vor allem, wenn man auf Romcoms steht. Nicht Notting Hill, aber eben 3000-mal besser als alles, was je von Nicholas Sparks produziert wurde.
Die Geschichte spielt in den 1960ern in Nixons Amerika und natürlich geht es um: die NASA, die anvisierte Mondlandung, das “Space Race” gegen “die Kommunisten”. Channing Tatum spielt den Launch-Direktor der Apollo 11-Mission (sorry, ich kann mir ein LOL nicht verkneifen). Weil die Öffentlichkeit das Interesse an dieser Mission verloren hat, engagiert ein Handlanger der Regierung (Woody Harrelson) eine Marketing-Expertin. Auftritt: Scarlett Johansson, die nun die Aufgabe hat, die schnöden Wissenschaftler ins rechte Licht zu rücken. Das ist alles sehr unterhaltsam, visuell schön und Tatum und Johansson haben durchaus Chemie.
Läuft auf: Apple TV+
The Sticky (6.12.)
Es gibt so Überschriften, die klingen ausgedacht: “Unbekannte in Kanada stehlen Maple Syrup im Wert von 18 Millionen Dollar” ist auf jeden Fall eine davon. Im SPIEGEL Panoramaressort hätten wir das ein bisschen gönnerhaft eine Lokalposse genannt und wären gleichzeitig dankbar für die Art von Geschichte gewesen, die über Wochen immer verrückter werden würde (”Tatwaffe Gartenschlauch”). Was als “Great Canadian Maple Syrup Heist” in die Geschichte der absurdesten Kriminalfälle des Jahrhunderts einging, ist nun die Grundlage für eine Comedy-Serie und zwar eine sehr gute.
In der Hauptrolle ist Margo Martindale zu sehen, eine der verlässlichsten Nebendarstellerinnen der Welt (The Americans, The Good Wife), in einer Nebenrolle Oscarpreisträgerin Jamie Lee Curtis. Martindale spielt eine Frau, deren Sirup-Farm kurz vor dem Aus steht. Folgerichtig tut sie sich mit zwei Kriminellen zusammen, um im großen Stil Sirup aus Kanadas größtem Sirup-Lager abzupumpen.
Ganz ehrlich, da lieg ich schon am Boden. Die Serie ist nicht laugh out loud lustig, aber wenn das Quellenmaterial so absurd ist, braucht es das auch nicht. Ein bisschen erinnert die kanadische 3-Kriminelle-im-Schnee-Ästhetik an die Coen-Brüder, was aber ebenfalls gut passt.
Läuft auf: Amazon Prime
The Franchise (6.12.)
Ich würde gar nicht sagen, dass es nur schlechte Comic-Book-Verfilmungen gibt oder, dass ich von der Batman- und Joker-Inflation die Nase voll habe. Das tun andere und zeigen die Zahlen an den Kinokassen. Aber ich bin die Erste, die hellhörig wird, wenn es eine HBO-Satire über die Entstehung eines Comicbook-Films namens Tecto: Eye of the Storm gibt. Ha!
Konkret geht es um den 1. Regie-Assistenten Daniel (Himesh Patel, den ich sehr in Station 11 mochte), der versucht, Stuntleute, SchauspielerInnen und Story zusammenzuhalten. Im Nacken sitzt ihm der Regisseur des Spektakels, ein Autorenfilme-Macher namens Eric Bouchard, der mit Comic-Helden etwa so viele Berührungspunkte hat wie Til Schweiger mit Werner Herzog. Verkörpert wird diese “Ich mache hier Kunst”-Arroganz übrigens ganz wunderbar von Daniel Brühl.
Und so stolpern die Produktionsbeteiligten von Szene zu Szene und ständig ineinander. Hochnäsige Theaterschauspieler treffen auf einfältige Titelhelden, irgendwann steht auch noch der Studioboss vor der Tür. Dass mir das gefällt, ist keine Überraschung, die Serienmacher von Veep und Succession haben ihre Finger im Spiel. Ich hoffe sehr, dass es ein Sequel, Prequel, Spinoff geben wird.
Läuft auf: WOW/Sky
Dream Productions (11.12.)
Das Beste an Inside Out, dem Disney-Animationsfilm über die Gefühle eines Mädchens, war die Traumsequenz und als ich den zweiten Teil mit meiner Schwester im Kino sah und die Traumfabrik nicht dabei war, waren wir bitter enttäuscht und auch ein bisschen verwundert. Das hatte wirklich gut funktioniert:
Jetzt gibt es eine vierteilige Spin-Off-Serie, in der es ausschließlich um die Produktion von Träumen, Tagträumen und “Gehirnfürzen” (nicht meine Worte) geht, wobei jede zweite Szene eine Parabel auf die echte Unterhaltungsbranche bietet. Die Story ist zwischen den beiden Filmen angesiedelt und das Originalcast um Amy Poehler mit dabei. Ich plane das als Adventssonntagnachmittags-Programm, wenn ich den dritten Teil von “The Inheritance Game” ausgelesen habe und ein bisschen unverfängliche Unterhaltung oberhalb der Gürtellinie brauche.
Läuft auf: Disney+
Mehr Disney-Inspiration gibt es in dieser Gast-Kolumne von Andreas Laux.
No Good Deed (12.12.)
Hier ein Titel aus der Kategorie “Da kann ich nicht wegschauen". Lisa Kudrow aus Friends und Ray Romano aus Alle lieben Raymond gehören zu den kommerziell erfolgreichsten Comedy-Stars der 1990er und 2000er Jahre. In dieser neuen Serie spielen sie ein Ehepaar in Geldnot, dessen Kinder aus dem Haus sind. Als sie ihr Heim in einer der angesagtesten Adressen in L.A. zum Verkauf anbieten, stehen plötzlich jede Menge InteressentInnen vor der Tür – und rütteln an einem alten Geheimnis, das die beiden mit dem Hausverkauf endgültig begraben wollten.
Ein zweiter Grund, dieser Serie eine Chance zu geben: Entwickelt hat die Show Liz Feldman, die Frau, die hinter der sehr guten Dark Comedy Dead To Me steckt. Ein dritter: eine ganze Reihe fabelhafter Gaststars von Abbi Jacobson über Luke Wilson bis Linda Cardellini.
Läuft auf: Netflix
English Teacher (18.12.)
Auf diesen Titel warte ich schon länger, weil er
1. gut besprochen ist (The Hollywood Reporter)
2. eine Ur-Nostalgie für Schule in meinem bald mittelalten Herzen anrührt und
3. von den MacherInnen von Girls, Atlanta und What We Do in the Shadows stammt.
Es geht um den besagten Englischlehrer an einer High School im konservativen Texas, der mit einem LehrerInnen inhärenten Elan seine Arbeit macht und Dinge sagt wie: „Dieser Job ist mir wichtig, ich mag es, Kinder aufblühen und aufwachsen zu sehen.“ Schnell merkt er, dass es nicht so einfach ist, den Ansprüchen von SchülerInnen, Eltern und KollegInnen gerecht zu werden.
Im Gegenteil, er verzweifelt trotz guter Absichten oder gerade deswegen an dieser jüngeren Generation. Als ihn dann auch noch ein Schüler beim Knutschen mit seinem Partner sieht, gerät er ins Visier konservativer Helikoptereltern. Im Endeffekt ist English Teacher eine Workplace-Comedy, ein bisschen schärfer als Abbott Elementary, weniger stereotyp und quirky als Glee.
Läuft auf: Disney+
Squid Game S2 (26.12.)
Die erste Staffel war eine der erfolgreichsten Serien-Produktionen in der Geschichte des Streamings, ein Phänomen, eine Saison Halloweenkostüme, ein Preisregen. In Squid Game geht es um ein tödliches Spiel, bei dem die Teilnehmenden ihr Leben für einen gigantischen Geldpreis aufs Spiel setzen. Von Hunderten kann nur einer gewinnen, die anderen sterben. Kapitalismus-Kommentar und Gewalt als Unterhaltung in einem.
Überzeichneter Splatter, mögen manche sagen. Ich fand’s zu brutal und habe einige Folgen nur mit klopfendem Herzen und vorgehaltenen Händen schauen können. Trotzdem waren das Format und die Geschichte so revolutionär, dass ich gespannt bin, wie es weitergeht. Vielleicht nicht zwingend direkt an Weihnachten.
Läuft auf: Netflix
Wo ich zumindest mal reinschauen werde:
Die Discounter S4 Part 2 (27.12.)
Die ersten zwei Staffeln dieser Workplace-Comedy über den Supermarkt Kolinski in einer der weniger charmanten Ecken Hamburgs fand ich sehr unterhaltsam. Die dritte Staffel hat mir schon nicht mehr so gut gefallen, unter anderem weil die Frauenfiguren zu wenig Agenda hatten und ich die Witze auf Kosten des schwulen Ladendetektivs Jonas irgendwann zu fies und borderline homophob fand. Aber wenn jetzt alle Folgen draußen sind und ich zwischen den Jahren ein bisschen, sagen wir: durchhänge, reiht sich die Staffel vermutlich nahtlos in diese Watchlist für Katertage ein.
Läuft auf: Amazon Prime
It Ends With Us (9.12.)
Das PR-Desaster um diese Bestseller-Verfilmung von Colleen Hoover war legendär und ein nettes Nebenergebnis, dass es relativ ruhig um Hauptdarstellerin Blake Lively geworden ist. (Details zum Skandal um den falschen Ton und das “arrogante Gebaren" könnt ihr bei meiner Kollegin Saba nachlesen). Im Kino hätte ich mir das niemals angeschaut, aber ein bisschen neugierig bin ich, nachdem ich diesen tollen Essay von Pandora Sykes zur Methodik und den gesellschaftlichen Überzeugungen von Hoover gelesen habe.
Es geht um eine Frau mit traumatischer Kindheit, die dann selbst in einer toxischen Beziehung endet – und dann ihrer Jugendliebe wieder begegnet.
Läuft auf: Netflix
Nostalgie-Watch:
Igby (2002)
Ich würde diesen Film als eine Mischung aus Eiskalte Engel und Der Fänger im Roggen beschreiben: Im Zentrum steht der 17-jährige Igby (Kieran Culkin), der gegen sein reiches Elternhaus rebelliert und als Strafe den Sommer bei seinem Patenonkel in New York verbringen muss (vermutlich weil Stubenarrest und Computerverbot zu ineffektiv waren). Unmittelbar nach der Ankunft stürzt er sich mit der Liebhaberin seines Paten in die Kunstwelt – Sex, Drogen, das ganze Programm — und überwirft sich so immer mehr mit seiner Mutter (Susan Sarandon).
Kieran Culkin war wie sein Bruder Macaulay (gerade Hochsaison: Kevin — Allein zu Hause) ein Kinderstar. Lange hörte man nichts von ihm, bis er plötzlich in Succession gecastet wurde und aus der schrecklichen Roy-Familie als Publikumsliebling hervorging. In Igby ist er mindestens genauso sehenswert, seinen neuen Film A Real Pain will ich auch unbedingt sehen.
Warum ich ihn außerdem mag, sind Interviews wie diese:

Läuft auf: Amazon Prime