Der Geheimtipp für Krimi-Fans, die alles gesehen haben
Eine Mystery-Thriller-Serie aus dem Südwesten der USA
Als ich letztes Jahr für ein paar Wochen in Los Angeles war, um einen Serienpiloten zu schreiben, hatte ich eine Frühaufsteher-Phase, Jetlag sei Dank. Aufstehen, zwei Tassen Filterkaffee, eine Stunde wandern in Fryman Canyon und dann zu Priscilla's Gourmet Coffee Tea & Gifts zum Schreiben. So L.A., ich weiß.
An einem meiner ersten Schreibtage saß am Nebentisch Zahn McClarnon. Er grüßte flüchtig, ich nickte zurück. Innerlich war ich mindestens so hyped wie 1997, als ich bei der Bravo Super Show in Köln ein Foto mit Lee von Caught in the Act gemacht habe.
Das als Kontext für meine Empfehlung diese Woche, damit ihr mir glaubt, dass es sich wirklich um die beste Thriller-Serie seit langem handelt. Ich sage das nicht leichtfertig. Sie ist der Grund, warum ich Zahn McClarnon für den besten Schauspieler der letzten Jahre halte und die Antwort, die ich gebe, wenn Leute mich nach einem Geheimtipp fragen.
Dark Winds
Darum geht’s: Die frühen Siebziger im Navajo Nation Reservat im Südwesten der USA. Joe Leaphorn (Zahn McClarnon) ist Chef der Tribal Police und kümmert sich um eine Reihe kleinerer Verbrechen. An seiner Seite: die kluge, leicht abgeklärte Polizistin Bernadette Manuelito (Jessica Matten) und seine Frau Emma (Deanna Allison), die in ihrem Job als Krankenschwester ebenfalls mit einem Fall konfrontiert ist.
Nach einem Doppelmord rückt das FBI heran und setzt Leaphorn ungefragt einen neuen Stellvertreter ins Team: Jim Chee (Kiowa Gordon), ein Hotshot, der das Reservat vor Jahren verlassen hat und nach seinem College-Abschluss nur ungern zurückkehrt.
Unwillig machen sich Leaphorn und Chee zusammen an die Ermittlungen und stoßen auf eine Verbindung zu einem bewaffneten Raubüberfall, der nie aufgeklärt wurde. Ein Verbrechen, welches das Leben des Ehepaar Leaphorn nachhaltig verändert hat. Die Spur führt sie immer tiefer in die Geschichte der Navajo und Leaphorn und Chee in ihre eigenen Identitätskrisen.
Warum das sehenswert ist: Die erste Staffel Dark Winds hat alles, was eine gute Ermittler-Serie braucht: einen mysteriösen Fall, der neues Licht in einen Cold Case bringt. Zwei ungleiche Ermittler, die erst noch zusammenfinden müssen. Eine Verschwörung, die sich durch sämtliche Instanzen zieht. Eine kleine Romanze. Noah Emmerich als FBI-Agenten. So weit, so Standard.
Was Dark Winds jedoch von abgegriffener Krimi-Ware und Western-Folklore abhebt:
die Welt, in der die Geschichte und die Charaktere verankert sind.
Das liegt zum einen an den Drehbüchern. Die AutorInnen betrachten ihre Figuren aufmerksam und auf Augenhöhe, überall schwingen Gefühle und Mystik mit. Angenehmerweise werden auch mal Dinge vorausgesetzt oder als selbstverständlich eingeführt, wie zum Beispiel, dass über einige Strecken Diné gesprochen wird. Zum anderen liegt es an den unglaublichen Aufnahmen. (Und natürlich an der Besetzung, dazu gleich mehr.)
Ein Beispiel:
“Das frühe Sonnenlicht breitet sich über das Tal aus und kreiert dabei die Art von Ausblick, die dich an Gott glauben lässt.” – Dark Winds-Drehbuch, Episode 101
Den Drehort für so staatstragende Superlative muss man erst einmal finden. Für die Schönheit des Monument Valleys, wo diese Szene letztendlich gefilmt wurde, ist es gerade so angemessen.
der Stoff und die CreatorInnen:
Die Serie basiert auf den Kriminalromanen von Tony Hillerman. Robert Redford und Game of Thrones-Schöpfer George R.R. Martin trieben die Verfilmung voran, die beiden sind auch Executive Producer.
Allerdings wurde das Material adaptiert von Native American AutorInnen. Überhaupt sind an dieser Serie fast ausschließlich Menschen mit Indigenen Wurzeln beteiligt, von Regisseur und Executive Producer Chris Eyre bis Show-Creator Graham Roland (Credits: Lost, Fringe, Jack Ryan).
Gedreht wurde größtenteils in den Camel Rock Studios nördlich von Santa Fe in New Mexiko. Es handelt sich um ein riesiges ehemaliges Casinogelände, das nun als Kulisse für Filmaufnahmen dient. “Wir alle haben uns in die Tatsache verliebt, dass wir auf Stammesland drehen konnten”, sagt Regisseur Eyre. “Wenn wir Native Geschichten erzählen, wollen wir es richtig machen.” (Hollywood Reporter)
die SchauspielerInnen:
Nachdem Zahn McClarnon in Fargo, Westworld, Reservation Dogs und Hawkeye immer wieder als Nebendarsteller zu sehen war, ist er in Dark Winds endlich die Hauptattraktion. Hoffentlich bleibt das erst mal so. In jeden Schritt, jeden Blick, legt er Leaphorns Trauma, eine Mischung aus Verlust, Trauer und amerikanischem Imperialismus. Leaphorn ist ein stoischer Typ, dass er nicht zu zugeschnürt wirkt, ist McClarnons Verdienst.
"Zahn McClarnon ist außergewöhnlich als Joe Leaphorn … Alle Performances hier sind top notch.” – New York Times
Grundsätzlich ist McClarnon von hervorragenden NebendarstellerInnern umgeben, die alle um ihn kreisen und die Nuancen seiner Figur aufzeigen, ohne dass sie wie bloße Plotpoints wirken. Jessica Matten als Leaphorns rechte Hand reagiert mal genervt, mal selbstbewusst als ihr Großstadt-Fuzzi Chee vorgesetzt wird (“Schöner Anzug, du siehst aus wie Pat Boone”). Rainn Wilson als zwielichter Autoverkäufer macht auch sofort Sinn.
Kiowa Gordon allerdings, den ich bislang nur als pubertierenden Werwolf aus Twilight kannte, liefert vielleicht die überraschendste Performance.
“Jim Chee, 27, halb Navajo, halb weiß, trägt einen Anzug und seine beste Krawatte, die zufällig auch seine einzige ist.” – Dark Winds-Drehbuch, Episode 101
Diese leichte Verschlagenheit muss man erst mal umsetzen. Sein Reservats-skeptischer und berechnender Chee ist ein guter Gegenpol zum Veteranen Leaphorn und der taffen aber traditionellen Bernadette.
Kleingedrucktes: Die Einschaltquoten auf AMC, dem Sender hinter Dark Winds, verdoppelten sich von Staffel zu Staffel. Als Netflix im Spätsommer 2024 den Titel in den USA lizenzierte, kletterte Dark Winds an die Spitze der meistgeschauten US-Serien. Beide Staffeln haben eine 100%-Bewertung von den KritikerInnen auf Rotten Tomatoes.
Schnell wurden Parallelen gezogen zu True Detective. Dennoch: Den Sprung ins Awards-Geschäft hat Dark Winds bislang nicht geschafft, obwohl die Serie regelmäßig von Branchenmagazinen als “unterschätzt” und McClarnons Performance als Emmy-würdig gelobt wird. Höchste Zeit also, für eine Empfehlung.
Läuft auf: Die zwei bisher erschienenen Staffeln mit insgesamt 12 Folgen gibt es auf RTL+ und RTL Crime. Eine dritte Staffel wurde bereits abgedreht und wird Anfang 2025 in den USA ausgestrahlt.
Puh zum Glück gerade für Love Island VIP RTL+-Abo abgeschlossen 🙏🏾
Da muss ich einen patriotischen (je suis Suisse) Trittbrett Comment machen. Werde aber definitiv reinschauen, danke🙏 Meine Trittbrett-Empfehlung ist “Tschugger” ausm Wallis (Netflix) Beim Lesen hat sich das einfach als Para-Ebene mit “Pulp Reality” Einschlag aufgedrängt. Vielleicht als Absacker, danach? Ob in englischer oder hochdeutscher Fassung, durchgehend mit schönem schweizerdeutschen Berg-Akzent.