Die 10 besten Serien aus Skandinavien 🇸🇪🇳🇴🇩🇰
Die Liste aller Listen von Journalistin Anna Scholz
Eine Pauschalisierung, mit der sich wohl alle anfreunden können: Skandinavische Serien und Filme sind meistens gut, wenn nicht sogar sehr gut. Aber es gibt eben auch ein riesiges Angebot, weswegen ich mir für diese Folge Unterstützung von Journalistin Anna Scholz geholt habe. Anna ist Podcast-Produzentin und Dozentin und vor allem: Skandinavienexpertin.
In dem hervorragend kuratierten Newsletter Oh my pod! empfiehlt sie regelmäßig hörenswerte Podcasts. Wer ihre Arbeit hören will, abonniert am besten den SWR “Das Wissen”-Feed, dort erscheint ab 6. Mai ihre vierteilige Podcast-Doku “Dr. Ketamin” (es geht um, surprise: Ketamin. In der Psychotherapie).
Frau Scholz, bitte übernehmen Sie!
Mein Netflix-Algorithmus ist mal mehr, mal weniger treffsicher, aber eine Sache hat er in den letzten 10+ Jahren verstanden: Wenn es eine neue Produktion aus Skandinavien gibt, muss ich sie sehen. Dabei bin ich sehr Genre-flexibel, ich mag einfach den subtilen Erzählstil und die moody Shots, die maximal weit weg von Hollywood-Blockbustern sind. Ich mag, dass es häufig um soziale Themen geht, den versteckten Humor und dass man nah an der Realität bleibt – und darüber hinaus wurde mir die Skandinavien-Affinität in die Wiege gelegt.
Als Kind haben wir viele Urlaube im Norden verbracht, in meinen Zwanzigern habe ich in Tampere, Stockholm sowie Lund gelebt und Kurse an der Uni Kopenhagen besucht. Heute bin ich in Hamburg glücklich (close enough), aber mein rostiges Schwedisch freut sich auch immer über eine popkulturelle Auffrischung – deswegen sind die Schweden in dieser Liste etwas überrepräsentiert.
Okej, nu kör vi!
(Ok, los geht’s!)
A Nearly Normal Family (2023)
1 Staffel
Während die ganze Welt gerade (zurecht) über Adolescence redet, ist dieses stille Meisterwerk 2023 unter dem Radar gelaufen. Vielleicht, weil es darin um die Opferperspektive geht? In A Nearly Normal Family geht es um: eine fast normale Familie. Mutter (Strafverteidigerin), Vater (Pfarrer), Tochter. Tochter Stella ist 15, als sie während eines Trainingslagers von einem der Betreuer vergewaltigt wird. Sie erzählt ihren Eltern davon, und in dem Moment entsteht ein Riss in der Familie. Ihr Vater will die Tat anzeigen, ihre Mutter ist dagegen. Als Verteidigerin kennt sie Vergewaltigungsprozesse, in denen Aussage gegen Aussage steht und will ihrer Tochter dieses Trauma ersparen.
Ein Trauma trägt Stella trotzdem davon und es wird mit dazu beitragen, dass sie vier Jahre später, mit 19, plötzlich wegen Mordes angeklagt ist. Das ist der Zeitpunkt, an dem wir so richtig in die 6-teilige Miniserie einsteigen. Stella wird beschuldigt, ihren Freund (oder wie die Kids sagen: ihre Situationship) Chris ermordet zu haben.
Ich will hier nicht zu viel spoilern, aber diese Serie hat mich noch Wochen später beschäftigt, weil sie einen zu großen Teilen ohnmächtig zurücklässt. Es geht nicht nur um Vergewaltigung und Mord, es geht um missbräuchliche Beziehungen, um einen Schrank voller K.O.-Tropfen und um ein Justizsystem, das Täter schützt. Am Ende geht es aber auch um starke Frauenfreundschaften und darum, dass es in unserer Gesellschaft immer wieder Frauen sind, die sich gegenseitig retten.
Für mich 10/10 (Mein Bias: Die Serie spielt in Lund, wo ich viele Schauplätze kenne).
Läuft auf: Netflix
Love & Anarchy (2020)
2 Staffeln
Dass die SchwedInnen auch witzig können, zeigt Lisa Langseth (bekannt als Autorin von Euphoria) in Love & Anarchy. Dabei bricht sie noch wie nebenbei mit allerhand Konventionen und baut eine gute Portion Gesellschaftskritik ein. Der Plot: Unternehmensberaterin Sofie (Ida Engvoll) soll einen kleinen Buchverlag vor dem Untergang retten. Dort ist Max (Björn Mosten) für die IT zuständig. Sofie ist Ende 30, verheiratet, hat zwei Kinder und Max ist Mitte 20, das Gegenteil von gesettled. Die beiden geraten in einen gefährlichen Flirt, der von Machtspielchen im Büro gekennzeichnet ist.
Hier braucht man zum Teil eine große Cringe-Toleranz, aber vieles ist auch einfach wirklich sehr lustig. Als die Serie 2020 erschien, war diese Konstellation – junger Mann begehrt ältere Frau – noch kaum thematisiert (außerhalb von Fetisch-Seiten vielleicht). Und hier ist der Altersunterschied zwar Thema, aber nicht zentral. Auch die Nebencharaktere machen einen grandiosen Job, vor allem Clara Sehn als Office-Managerin Caroline spielt wundervoll naiv (und sie werden wir in dieser Liste gleich nochmal sehen).
Für mich war hier alles drin: Von Tränen vor Rührung bis Tränen vor Lachen, schade nur, dass die zweite Staffel etwas abgefallen ist.
Läuft auf: Netflix
Borgen (2013 / 2022)
4 Staffeln
Zeit, die Nachbarn im Süden mit ins Boot zu holen: Borgen ist ein dänischer Klassiker. Oder, wie die BBC schreibt: “The greatest political drama ever.” Und dem würde ich jetzt nicht widersprechen wollen. In der Serie geht es um Birgitte Nyborg (Sidse Babett Knudsen), die in der ersten Staffel die erste Premierministerin Dänemarks wird. Über die folgenden Staffeln begleiten wir sie durch politische und familiäre Machtkämpfe, gewonnene und verlorene Wahlen und diverse außenpolitische Krisen.
Parallel verfolgen wir die Storylines von Journalistin Katrine Fonsmark (Birgitte Hjort Sørensen) und ihrem On-Off-Boyfriend Kasper Juul (Pilou Asbæk). Der ist nicht nur hot, sondern zufällig auch Pressechef der Premierministerin – oder, wie er in der Serie treffender heißt: “Spin Doctor”. Mich haben vor allem die Verflechtungen zwischen Journalismus und Politik gefesselt, aber auch die Struggles, die Birgitte als Frau in der (Spitzen-)Politik hat, wirken auf mich erschreckend real.
Die ersten drei Staffeln erschienen schon zwischen 2010-2013 im ÖRR und dann ging es Borgen wie vielen Serien: Sie wurde auf Netflix zur Verfügung gestellt und erlebte einen zweiten Frühling. Und der war so intensiv, dass Netflix 2022 selbst noch eine vierte Staffel produzierte. Die war wieder deutlich stärker als die etwas schwächere dritte Staffel und sie könnte heute nicht relevanter sein: Es geht nämlich um Probleme zwischen Dänemark, Grönland und den USA, die Birgitte Nyborg lösen muss.
Läuft auf: Netflix
Anxious People (2021)
1 Staffel
Die zauberhaften Anxious People basieren auf dem Roman eines der bekanntesten Autoren Schwedens: Fredrik Backman. Und bevor ich etwas über die Serie erzähle, möchte ich etwas über Fredrik Backman erzählen. Oder besser, ich lasse ihn über sich erzählen. In einer Rede bei einer Verlagsveranstaltung sagt er über sich:
“My brain and I, we are not friends. We are classmates, doing a group assignment called life. And it’s not going great.”
Backman ist witzig, clever und versteht es, mit viel Empathie über große und kleine Alltagsprobleme zu schreiben. Am bekanntesten ist er für Ein Mann namens Ove (gleich zweimal verfilmt, einmal 2015 in Schweden, einmal 2022 in den USA mit Tom Hanks), aber Anxious People, diese kleine, feine sechstteilige-Serie ist noch toller, finde ich.
Es beginnt als klassisches Whodunnit-Mystery: Bei einer Wohnungsbesichtigung wird eine bunte Gruppe Menschen von einem/r Geiselnehmer/in festgesetzt und die liebenswert-naiven Dorfpolizisten versuchen, den Fall zu lösen. Dabei treffen wir eine Handvoll sehr unterschiedlicher Charaktere und am Ende lernen wir: Wir sind alle nur Menschen und jeder hat so seine Issues. Also: Lieb sein!
Der Weg zu dieser Erkenntnis ist witzig, warmherzig und berührend – und ein bisschen Spannung ist auch dabei. Wirklich Balsam für jede Seele, die zu viele aktuelle Nachrichten gesehen hat.
Läuft auf: Netflix
Snabba Cash (2021)
2 Staffeln
So, und schon lasse ich euch eure wohlige Backman-Blase platzen, tut mir leid. Wir gehen in die Stockholmer Vororte, die auch IRL seit Jahren von Bandenkriminalität gebeutelt werden. Dort will Leya (Evin Ahmad), eine junge, alleinerziehende Mutter, in der Start-up-Szene durchstarten, aber Geldprobleme ziehen sie in den kriminellen Untergrund.
In den zwei Staffeln clashen Drogen dealende Gangs mit der Welt der Tech-Millionäre. Leya wird immer tiefer in den illegalen Sumpf hineingezogen, während parallel ihre Start-Up-Karriere durchstartet. Wer schnelle Thriller mag, bei denen einem der Atem wegbleibt, ist hier genau richtig.
Viele der Rollen in Snabba Cash (Schnelles Geld) sind mit SchauspielerInnen mit Migrationshintergrund besetzt – allerdings sind diese Rollen häufig die der Drogendealer. Das soll aber deutlich machen, wie sehr Rassismus in Schweden verankert ist, sagt Evin Ahmad in der “New York Times”. Wer Migrationshintergrund hat, hat in Schweden einfach deutlich schlechtere Aufstiegschancen – das ist in Deutschland ja ähnlich.
Läuft auf: Netflix
Hier findest du das aktuelle Monatsprogramm:
Pørni / Pernille (2021)
4 Staffeln (5. kommt am 15. Mai, hier der Trailer)
Wer Love & Anarchy mochte, wird Pørni lieben. Dafür gehen wir nach Norwegen und tauchen ein in das Leben von Pernille “Pørni” Middlethon (Henriette Steenstrup, die auch Entwicklerin der Serie ist). Eine Mittvierzigerin, die sich als alleinerziehende Mutter um ihre zwei Teenager-Töchter, ihren Neffen und zahlreiche andere Kinder kümmern muss. Sie ist nämlich Sozialarbeiterin.
Das Besondere an dieser Serie ist, dass es eine female-driven Comedy ist, die aber nicht leicht und fluffig sein will. Gleichzeitig bedient sie auch nicht das Klischee der “messy woman”, die ihr Leben nicht im Griff hat. Was wir sehen ist: Alltag. Alltag einer Frau, die stets am Rande des Burnout balanciert, ein viel zu großes Herz hat und sich mit einem Ex-Mann rumschlägt, der ausschließlich um sich selbst kreist.
Dabei sieht Pørni aus, wie eine Frau in ihrem Alter und mit ihrem Stresslevel eben aussieht: Mit ein bisschen Bauch, mit ein bisschen Falten – und auch diesen Realismus liebe ich an der Serie.
Es gibt schon vier Staffeln auf Netflix, die ihr bingen könnt (sind das nicht immer die besten Entdeckungen?) und gleich in Staffel 1 kommt auch Pørni in den Genuss eines jungen Lovers. Ich sehe da ein Muster 👀
Läuft auf: Netflix
Exit (2019)
3 Staffeln
Wir bleiben in Norwegen aber gehen weg von jeglicher Art “likeable characters”. Und der Realität. Oder zumindest meiner Realität. In Exit geht es um vier hedonistische Investmentbanker in Oslo, die alles haben, außer Empathie und Moral. Auch Glück empfinden, fällt dem Quartett schwer, deswegen muss es immer mehr sein: Mehr Geld, mehr Drogen, mehr Prostituierte. Während zuhause die Ehefrauen warten. Ich habe wirklich selten alle Protagonisten einer Serie so abgrundtief gehasst, aber auch das muss man erstmal schaffen.
Gleichzeitig konnte ich meine Augen nicht abwenden, immer auch in der Hoffnung, dass alle vier endlich die Quittung für ihr rücksichtsloses (und das ist noch das netteste Wort, das mir einfällt) Verhalten bekommen. Das Krasseste: Nur etwa 30 Prozent der Handlung ist Fiktion, sagt Autor und Produzent Øystein Karlsen. Der große Rest basiert auf Interviews mit echten norwegischen Investmentbankern. Diese Interviews abzuhören, war für Karlsen extrem schwierig. “It was damn dark”, sagt er. Und nach den drei Staffeln wundert man sich wirklich gar nicht, warum unsere Welt gerade vor die Hunde geht.
Triggerwarnung: Es geht in dieser Serie auch um Partnerschafts- sowie sexualisierte Gewalt.
Läuft auf: Als Kauftitel erhältlich, 2 Staffeln sind bei Magenta TV und dem Amazon Prime-Kanal Viaplay erhältlich
The Åre Murders (2025)
1 Staffel
Eine klassische Scandi-Crime-Serie darf in dieser Liste nicht fehlen, und diese ist fast noch taufrisch. The Åre Murders basieren auf der gleichnamigen Romanreihe von Viveca Sten, der Krimikönigin Schwedens. Es ist ein inzwischen bewährtes Set-Up: Kommissarin Hanna Ahlander (die wunderbare Carla Sehn – kennen wir aus Love & Anarchy) kämpft mit privaten und beruflichen Problemen und flüchtet aus der Großstadt Stockholm. Sie will ein paar erholsame Wochen im (luxuriösen!) Ferienhaus ihrer Schwester im populären Skigebiet Åre verbringen.
Aber schon bald gibt es vor Ort einen Notfall und sie unterstützt die unterbesetzte lokale Polizeitruppe. Ich habe die Bücher sehr gemocht und war deswegen der Serie gegenüber skeptisch – aber ich finde sie extrem stimmungsvoll und gut gelungen. Besonders mag ich an der Åre-Reihe, dass Hannas Spezialgebiete häusliche Gewalt sowie Gewalt gegen Frauen sind und sie so auch immer einen feministischen Blick auf jeden Fall mitbringt.
Läuft auf: Netflix
Die Brücke (2011)
4 Staffeln
Ich hadere ja oft, ob man so absolute Klassiker noch empfehlen darf. Aber da ich gerade letzte Woche auf Instagram jemanden gesehen habe, die Die Brücke gerade erst neu für sich entdeckt hat, habt ihr wohl doch noch nicht alle diese Serie gesehen. Solltet ihr aber. Wenn ihr Thriller aushaltet. Die Brücke ist eine transnationale Krimiserie, die auf beiden Seiten der Öresundbrücke spielt. Das ist die Brücke, die Schweden und Dänemark (genauer: Kopenhagen und Malmö) verbindet.
Und die erste Folge der ersten Staffel beginnt auch mitten auf der Brücke. So mittig, dass nicht klar ist, ob jetzt die Schweden oder Dänen für den Fall verantwortlich sind. Es entspinnt sich eine komplizierte Zusammenarbeit zwischen dem Dänen Martin Rohde (Kim Bodnia) und seiner schwedischen Kollegin Saga Norén (Sofia Helin), die unterschiedlicher nicht sein könnten. Das Zusammenspiel der beiden ist mitunter witzig, die Fälle der insgesamt vier Staffeln aber immer sehr düster und politisch. Absolutes Binge-Material.
Läuft auf: Netflix
Diary of a Ditched Girl (tbd 2025)
Und zum Schluss noch eine kurze Vormerk-Empfehlung ohne Gewähr. Im Laufe des Jahres soll Diary of a Ditched Girl auf Netflix erscheinen und ich setze große Hoffnungen darauf. Es ist die Verfilmung des autofiktionalen Romans von Amanda Romare, der im Original heißt “Halva Malmö består av killar som dumpat mig.” Übersetzt: “Halb Malmö besteht aus Typen, die mich abserviert gemacht haben.”
Es geht um das chaotische Datingleben einer Anfang 30-jährigen Frau und ich fand das Buch großartig messy, sehr witzig und (leider) sehr relatable. Noch etwas, was für die Serie spricht: Carla Sehn wird auch hier die Hauptrolle spielen. Love that for her – and us.
Läuft auf: Netflix
Was habt ihr bereits geschaut und für gut befunden? Was landet davon auf eurer Liste, was fehlt? Wir freuen uns über eure Kommentare!
Noch mehr über Anna erfahrt ihr hier und wenn ihr mit ihr zusammenarbeiten wollt, oder Feedback zu ihrer Liste habt, erreicht ihr sie per E-Mail.
Das alles und … drumroll please: Home for Christmas.
(Und Katla und Quicksand)
Die Hälfte der Liste spricht mich an bzw. hab ich gesehen - ich möchte unbedingt, so unbedingt “Blackwater” hinzufügen- wegen allem, was oben als Skandinavische Qualität gemocht wird. Und als kleinen, aber feinen Außenseiter noch “Blinded”, anders großartig.